Ich Gehör Nur Mir – Elisabeth

IN DER KUTSCHE DES TODES

Ein früher Morgen im Jahre 1888. Die Kutsche des Todes aus dem 2. Bild des zweiten Aktes. Lucheni stößt Rudolf von der Seitenbühne zur Kutsche. Dort wirft dieser sich auf sein Kaiserbett und verbirgt das Gesicht in den Armen. Der Tod kommt von der Seite und berührt Rudolfs Schulter.

Die Schatten Werden Langer

Tod:

    Zeit, daß wir uns endlich sprechen.

  • Zeit, das Schweigen zu durchbrechen.

    Du kennst mich. Ja, du kennst mich.

    Weißt du noch? Du warst ein Knabe,

    als ich dir versprochen habe,

    daß ich dir immer nah bleib’.

Rudolf:

    O, ich hab’ dich nie vergessen.

  • Meinen Freund, nachdem ich rufe,

    wenn mich meine Ängste fressen.

Tod:

    Ich komm’, weil du mich brauchst!

Tod & Rudolf:

    Die Schatten werden länger

  • und doch bleiben alle blind und stumm.

    Zum Klang der Rattenfänger

    tanzt man wild ums goldne Kalb herum.

    Die Schatten werden länger…

    Es ist fünf vor zwölf, die Zeit ist beinah um!

Rudolf:

    Zeit, den Riß der Welt zu sehen.

  • Könnt ich nur das Steuer drehen!

    Doch ich muß daneben stehen.

    Man bindet mir die Hände.

Tod:

    Nichts ist schlimmer als zu wissen,

  • wie das Unheil sich entwickelt,

    und in Ohnmacht zuseh’n müssen.

Rudolf:

    Es macht mich völlig krank!

Hinter der Kutsche erkennt man schemenhaft den Chor der Toten.

Tod, Rudolf & Tote:

    Die Schatten werden länger

  • und die Lieder werden kalt und schrill.

    Der Teufelskreis wird enger,

    doch man glaubt nur, was man glauben will.

    Die Schatten werden länger…

    Es ist fünf vor zwölf, warum hält jeder still?

Tod:

    Was hält dich zurück? Dies ist der Augenblick!

  • Greif nach der Macht! Tu es aus Notwehr!

Rudolf:

    Notwehr?

Tod, Rudolf & Tote:

    Die Schatten werden länger.

  • Was gescheh’n muß, das muß jetzt gescheh’n.

    Der Teufelskreis wird enger

    man muß dem Unheil widersteh’n!

    Die Schatten werden länger…

    Kaiser Rudolf wird der Zeit entgegengeh’n!

Schlußbild. Verwandlung.

DIE LOGGIA EINER VILLA IN KORFU

Eine Mondnacht auf Korfu. Auf der offenen Loggia einer italienischen Villa sitzt Elisabeth zwischen flackernden Kerzen allein an einem Tisch, auf dem Schreibpapier liegt. Sie taucht die Feder ins Tintenfaß. Unwirkliche Klänge. Ein Windstoß. Elisabeth spürt die Nähe eines Geistes und hebt beschwörend die Hände.

Elisabeth:

    O, ich fühle deine Nähe. Komm und zeig dich!

  • Ich ahn, verwandte Seele… wer du bist – ich erwart dich,

    Heinrich Heine. Bleib bei mir, enttäusch mich nicht.

    Komm und diktier’ mir noch ein Gedicht!

    Ich hab Feder und Papier wie stets breit gelegt.

Irgendwo in der Dunkelheit ist die imaginäre Gestalt von Herzog Max gegenwärtig.

Max:

    Mir fällt nichts ein.

Elisabeth:

    Vater…?

  • Du bist es, ich erkenn’ dich!

Elisabeth & Max:

    Träumen und Gedichte schreiben

  • oder reiten mit dem Wind…

Elisabeth:

    Ich wollte mal so sein wie du.

Max:

    Warum sprichst du mit den Toten?

  • Das gefällt mir nicht –

Elisabeth:

    Was soll ich denn mit den Lebenden noch reden…?!

Max:

    Du bist zynisch, du bist bitter und allein.

Elisabeth:

    … Sie haben mich zur Kaiserin dressiert!

Max:

    Um dich selber einzuschließen,

  • mußtest du dich nicht befrei’n.

Elisabeth:

    Mich ekelt alles an!

Max:

    Man muß sich bemühen, glücklich zu sein.

Elisabeth:

    Wozu sich selbst belügen?

Max:

    Du hast niemals aufgegeben.

  • Nichts nahm dir den Mut.

Elisabeth:

    Vielleicht – weil ich noch nichts wußte von den Menschen… –

Max:

    Wolltest leben ohne Zügel und Tabu.

Elisabeth:

    Das ist wahr!

Elisabeth & Max:

    Leben, frei wie ein Zigeuner

  • mit der Zither unterm Arm…

Elisabeth:

    Nun ist es zu spät…

Max:

    Adieu, Sisi!

Elisabeth:

    … Jetzt bin ich aus Stein. Nie werde ich so sein

    wie du!

Es wird rasch ganz dunkel. Verwandlung.

AUF DEM OPERNRING IN WIEN

Stimmen Der Demonstranten: (näherkommend)

    Haß dem Rest der Welt! Der Starke siegt, der Schwache fällt!

  • Heil der deutschen Wacht! Ein starker Mann muß an die Macht!

Aus dem Fenster einer der am Weiterfahren gehinderten Kutsche blickt ein Baron.

Baron:

    Was ist los? Warum geht’s nicht weiter?

Lucheni:

    Eine Demonstration, Signore. Nationalisten,

  • Antisemiten! Anhänger von Schönerer. Non c’é niente da fare.

Stimmen Der Demonstranten: (teilweise gleichzeitig)

    Haß und Gewalt denen, die nicht sind wie wir!

  • Und die sich breitmachen hier, jagt sie davon!

Die Demonstranten strömen auf die Bühne. Sie tragen Fahnen und Spruchbänder und skandieren ihre Parolen mit Blick zum Publikum.

Demonstranten:

    Mit Sozialisten und Pazifisten fackeln wir nicht mehr lang!

  • Die Judenschreiber, die Judenweiber

    sind unser Untergang! Schluß!

Einzelne Demonstranten hetzen die anderen auf.

Ein Professor:

    Sie kerkern unsern Führer ein!

Demonstranten:

    Pfui!

Kleinbürger:

    Der Richter muß ein Jude sein!

Demonstranten:

    Ein Schwein!

Journalist:

    Die Juden schützt ein hoher Herr!

Demonstranten:

    Wer?

Journalist:

    Der Kronprinz!

Demonstranten:

    Pfui!

Korpsstudent, Professor, Kleinbürger & Journalist:

    Judenknecht!

Ein Kaisertreuer Passant:

    Empörend! Was ist das?

Demonstranten:

    Heil!

Lucheni:

    Der Fortschritt, cazzone! Unverkennbar:

  • Das 20. Jahrhundert. Es schreitet aus!

Demonstranten:

    Dem Volk ein Reich!

  • Haß und Gewalt denen, die nicht sind wie wir!

    Und die sich breitmachen hier, jagt sie davon!

Korpsstudent:

    Der Kronprinz treibt es mit den Judenweibern!

Erste Gruppe der Demonstranten:

    Nieder mit Habsburg!

Zweite Gruppe der Demonstranten:

    Deutschland den Deutschen!

Professor:

    Die Kaiserin verhöhnt den deutschen Geist!

Dritte Gruppe der Demonstranten:

    Stolz steh die Wacht am Rhein.

Erste Gruppe der Demonstranten:

    Weg mit dem Kronprinz!

Kleinbürger:

    Nieder mit Ungarn!

Zweite Gruppe der Demonstranten:

    Anschluß an Preußen!

Dritte Gruppe der Demonstranten:

    Wilhelm soll Kaiser sein!

Journalist:

    Wilhelm der Zweite ist unser Mann!

Alle Demonstranten:

    Ja!

Lucheni mischt sich unter die Demonstranten.

Lucheni:

    Wißt ihr das Neuste von der Kaiserin?

Demonstranten:

    Was?

Lucheni:

    Sie sammelt Geld in ihrem Eigensinn!

Demonstranten:

    Für wen?

Lucheni:

    Für Heinrich Heine will sie hier in Wien…

Demonstranten:

    Was?

Lucheni:

    … ein Denkmal bau’n!

Demonstranten:

    Pfui!

Kleinbürger:

    Frechheit!

Erste Gruppe der Demonstranten:

    Reinheit und Stärke!

Lucheni:

    Sie hat eine Vorliebe für Irrenhäuser!

Zweite Gruppe der Demonstranten:

    Christliche Werte!

Dritte Gruppe der Demonstranten:

    Schluß mit dem Volksverrat!

Lucheni:

    Gesund ist sie jedenfalls nicht!

Professor:

    Ein Volk! Ein Reich!

Erste Gruppe der Demonstranten:

    Freiheit dem Führer!

Zweite Gruppe der Demonstranten:

    Tod den Baronen!

Dritte Gruppe der Demonstranten:

    Fort mit dem Slawenstaat!

Korpsstudent:

    Herrenmenschen brauchen keine Herren!

Erste Gruppe der Demonstranten:

    Rasse! Masse! Pracht!

  • Einheit! Reinheit! Macht!

    Rasse! Masse! Pracht!

Zweite Gruppe der Demonstranten: (gleichzeitig)

    Heil und Sieg und Sieg und Heil und Heil und Sieg und Heil,

  • Siegheil, Siegheil, Siegheil!

Alle Demonstranten:

    Siegheil!

Das Schlußbild ist die Vision eines faschistischen Aufmarsch des 20. Jahrhunderts.

Verwandlung.

IN DER HERMESVILLA

In einem Spiegel sieht man Elisabeth vor einem Schminktisch sitzen. Sie wird von der Friseuse Feifalik gekämmt. Abseits im Raum erscheint Rudolf. Man hat ihm bedeutet, er müsse warten.

Wenn Ich Dein Spiegel War

Rudolf:

    Wie oft hab ich gewartet, daß du mit mir sprichst.

  • Wie hoffte ich, daß du endlich das Schwiegen brichst.

    Doch sich erschreckt, wie ähnlich wir beide uns sind:

    So überflüssig, so überdrüssig

    der Welt, die zu sterben beginnt.

    Wenn ich dein Spiegel wär,

    dann würdest du dich in mir sehn…

    Dann fiel’s dir nicht so schwer,

    was ich nicht sage, zu versteh’n…

    Bis du dich umdrehst,

    weil du dich zu gut in mir erkennst.

    Du ziehst mich an

    und läßt mich doch niemals zu dir.

    Seh ich dich an,

    weicht dein Blick immer aus vor mir.

    Wir sind uns fremd und sind uns zutiefst verwandt.

    Ich geb’ dir Zeichen,

    will dich erreichen,

    doch zwischen uns steht eine Wand.

    Wenn ich dein Spiegel wär,

    dann würdest du dich in mir sehn…

    Dann fiel’s dir nicht so schwer,

    was ich nicht sage, zu verstehn…

Elisabeth dreht sich, wir sehen es im Spiegel, nach Rudolf um.

Elisabeth:

    Was soll die Störung? Was gibt’s?

  • Was willst du hier?

Rudolf:

    Mutter, ich brauch dich…

  • Ich komm’ in höchster Not,

    fühl mich gefangen und umstellt.

    Von der Gefahr bedroht, entehrt zu sein vor aller Welt.

    Nur dir alleine kann ich anvertraun, worum es geht.

    Ich seh keinen Ausweg mehr…

Elisabeth: (gleichzeitig)

    Ich will’s nicht erfahren,…

Rudolf:

    Hof und Ehe sind mir eine Qual.

  • Ich krank, mein Leben leer…

Elisabeth: (gleichzeitig)

    … kann dir’s nicht ersparen!

Rudolf:

    … Und dieser schreckliche Skandal!

  • Nur, wenn du für mich beim Kaiser bittest,

    ist es noch nicht zu spät!

Rudolf will auf das Spiegelbild zugehen.

Eliasbeth:

    Dem Kaiser bin ich längst entglitten,

  • hab’ alle Fesseln abgeschnitten.

    Ich bitte nie –

    Ich tu’s auch nicht für dich.

Das Spiegelbild verschwindet. Die Musik bricht ab.

Rudolf:

    Also, läßt du mich im Stich…

Die Szene verdunkelt sich. Verwandlung.

Mayerling-Walzer

Das Totentanz-Thema schwillt an. Ein Todesengel lockt Rudolf mit einer Pistole zu sich. Als dieser nach der Waffe greifen will, schiebt der Todesengel diese über den Boden einem Todesengel auf der anderen Seite der Bühnen zu. Rudolf stürzt dorthin, doch bevor er die Pistole erreichen kann, ist sie unterwegs zu einem dritten Todesengel und so fort. Immer verzweifelter versucht Rudolf in den Besitz der Waffe zu kommen, immer schneller wechselt diese ihren Besitzer. Schließlich stürzt Rudolf dem Tod in die Arme, der seiner jungen Geliebten Mary Vetsera gleicht. Rudolf und der Tod tanzen im Walzertakt des Totentanzes. Endlich drückt der Tod die Pistole in Rudolfs Hand und führt sie an dessen Stirn. Er drückt ihm den Kuß des Todes auf die Lippen, während sich der Schuß löst. Rudolf sackt leblos zu Boden. Der Tod breitet ein Tuch über die Leiche und verläßt mit seinen Engeln die Bühne.

KAPUZINERGRUFT

Mönche mit Kerzen in den Händen folgen dem Sarg in die Kapuzinergruft. Die tief verschleierte Elisabeth folgt dem Zug. Sie bleibt stehen und zieht sich den Schleier vom Gesicht.

Totenklage

Elisabeth:

    Rudolf, wo bist du?

  • Hörst du mich rufen?

    Du warst wie ich –

    du hast mich gebraucht.

    Ich ließ dich im Stich,

    um mich zu befrei’n.

    Wie kannst du mir je verzeih’n?

    Ich hab’ versagt… Ich trag die Schuld…

Vom Schmerz überwältigt, versagt Elisabeth die Stimme. Dann faßt sie sich wieder…

    Könnt ich nur einmal

  • dich noch umarmen

    und dich beschützen vor dieser Welt!

    Doch es ist zu spät.

    Sie schließen dich ein.

    Beide bleiben wir allein…

Hinter den Gitterstäben der Gruft sieht Elisabeth den Tod.

    Komm öffne mir! Laß mich nicht warten…

  • Bin ich nicht genug gequält? Erbarme dich!

    Komm, süßer Tod… verfluchter Tod…

    Erlöse mich!

Tod:

    Zu spät! Ich will dich nicht – Nicht so!

  • Ich brauch’ dich nicht! Geh!

Weinend bricht Elisabeth zusammen. Das Licht verlöscht.

Verwandlung.

EINE TERASSE BEI CAP MARTIN

Lucheni kommt in schnellen Schritten auf die Vorderbühne. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und präsentiert dem Publikum ein Leporello mit Postkarten von Elisabeth als „Mater dolorosa”.

Mein Neues Sortiment

Lucheni:

    Mein neues Sortiment geht weg wie warme

  • Semmeln – Eine starke Kollektion

    Vor allem diese Bilder der schmerzensreichen Mutter

    am Sarg von ihrem Sohn.

    Das rührt doch jedes Herz.

    Da schaudert man und denkt voll Sympathie:

    Die Großen trifft es auch. Gott sei Dank sind wir

    nicht reich und mächtig und erhöht wie die!

    Denn wer nicht ist wie alle,

    dem wird die Zeit vergällt.

    Das ist tröstlich und moralisch.

    So wie es euch gefällt:
    Kitsch!
    Kitsch!

Rhythmuswechsel.

    Die Kaiserin indes reist immer noch herum.

  • Sie hungert, rennt und schweigt.

    Und ab und zu fährt ihr der Kaiser hinterher,

    weil er zu Selbstbestrafung neigt.

    Und ist sie, wenn er kommt,

    noch da und nicht schon wieder auf der Flucht,

    dann gibt’s ein Rendezvous

    in milder Vollmondnacht

    mit Ausblick auf die Bucht…

Inzwischen hat sich Szene verwandelt: Eine klare Nacht im Februar 1895. Vor der Villa, die die Kaiserin während ihres Aufenthalts an der Côte d’Azur bewohnt. Elisabeth und Franz Joseph sind auf die Terrasse hinausgegangen, um sich unbelauscht vom Personal zu unterhalten. Es ist kühl. In der Ferne die Lichter des kleinen Hafens und das mondbeschienene Meer.

Boote in der nacht

Franz Joseph:

    Du weißt, warum ich gekommen bin.

Elisabeth:

    Nein. Aber ich ahne es.

Franz Joseph:

    Komm heim, Sisi. Wir gehören zusammen.

  • Ich glaube immer noch daran. Ich liebe dich. Und Liebe,

    sagt man, kann alle Wunden heilen.

Elisabeth:

    Liebe kann vieles,

  • doch manchmal ist Liebe nicht genug.

    Glaube ist stark,

    doch manchmal ist Glaube Selbstbetrug.

    Wir wollten Wunder,

    doch sie sind nicht gescheh’n.

    Es wird Zeit, daß wir uns endlich eingesteh’n:

    Wir sind wie zwei Boote in der Nacht.

    Jedes hat sein eignes Ziel

    und seine eigen Fracht.

    Wir begegnen uns auf dem Meer,

    und dann fällt der Abschied uns schwer.

    Doch was uns treibt, liegt nicht in unsrer Macht.

Franz Joseph:

    Du möchtest alles,

  • doch manchmal ist wenig schon sehr viel.

Elisabeth:

    Dein Traum ist mir zu klein!

Franz Joseph:

    Sich nah zu sein im Dunkeln,

  • genügt das nicht als Ziel?

Elisabeth:

    Ich will nicht dein Schatten sein!

Elisabeth & Franz Joseph:

    Könntest du einmal nur durch meine Augen sehn,

  • dann würdest du mich nicht länger mißverstehn…

    Wir sind wie zwei Boote in der Nacht.

    Jedes hat sein eignes Ziel

    und seine eigne Fracht.

    Wir begegnen uns auf dem Meer,

    und oft fällt der Abschied uns schwer.

    Warum wird uns das Glück so schwer gemacht?

Elisabeth:

    Du und ich, wir sind zwei Boote in der Nacht.

Franz Joseph: (gleichzeitig)

    Versteh’ mich… Ich brauch’ dich…

  • Ich lieb dich… Kannst du nicht bei mir sein?

Elisabeth:

    Jedes hat sein eignes Ziel und seine eigene Fracht.

Franz Joseph: (gleichzeitig)

    Versteh mich… Ich brauch’ dich…

  • Warum sind wir allein?

Elisabeth & Franz Joseph:

    Wir begegnen uns auf dem Meer

  • und sind mehr allein als vorher…

    Warum wird uns das Glück so schwer gemacht?

Franz Joseph:

    Ich lieb’ dich!

Elisabeth:

    Begreif’ doch: Was nicht sein kann, kann nicht sein.

Beide ab.

Verwandlung.

AN DECK DER SINKENDEN WELT

Ein Exekutionskommando führt Maximilian von Mexiko auf die halbdunkle Bühne und trifft Anstalten, ihn zu erschießen. Fast gleichzeitig werden en anderen Stellen und auf anderen Ebenen der Bühne verschiedene andere Szenen installiert, die mit dem Untergang des Hauses Habsburg zu tun haben: Zwei Irrenwärter zwingen nacheinander Charlotte von Mexiko und Maria von Neapel in eine Zwangsjacke. Ludwig II erwürgt Dr. Gudden und geht ins Wasser. Nationalisten schwenken verschiedene Fahnen und beginnen, damit aufeinander einzuprügeln. Rudolf, als Kind, erschießt seine Katzen. Rudolf, als Mann, erschießt Mary Vetsera und sich selbst. Sterbende und verwundete Soldaten irren über das Schlachtfeld von Solferino. Zerlumpte schwenken rote Fahnen. Die Herzogin von Alencon eröffnet einen Wohltätigkeitsbasar. Mit Gewehr im Anschlag zwingt Bismarck einen Doppelgänger Franz Josephs in die Knie. Diese Szenen laufen teils realistisch, teils in Zeitlupe. Teils rückwärts wie beim Zurückspulen eines Films und dann wieder von vorne ab. Lucheni springt clownesk zwischen den lebenden Bildern hin und her. Er folgt dabei den stummen Befehlen, die ihm der Tod gibt, indem er auf die diversen Gruppen zeigt.

Lucheni: (beim Exekutionskommando stehend und auf Maximilian deutend)

    Maximilian von Habsburg… Kaiser von Mexiko… Uno… Due… Feuer!!

er deutet auf die Frauen bei den Irrenwärtern

    Maria von Wittelsbach… Königin von Neapel…

  • Rein in die Zwangsjacke!

er ist inzwischen bei Ludwig II

    Ludwig von Wittelsbach…

  • König von Bayern… ab ins Wasser!

Lucheni springt zur Herzogin von Alencon. Er ergreift eine Fackel und setzt ihre Kleider in Brand.

    Sophie von Wittelsbach… Herzogin von Alencon…

  • Hinein in die Flammen!

Chor:

    Alle Fragen sind gestellt

  • und alle Phrasen eingeübt.

    Wir sind die Letzten einer Welt

    aus der es keinen Ausweg gibt…

Die Bühne gerät zunehmend in eine Schräglage. Das Schiff, dessen Deck wir sehen, sinkt. Der echte Franz Joseph kommt auf die Bühne gestürzt. Irritiert läuft er von Gruppe zu Gruppe, bis er begreift, wer das Oberkommando führt. Er entdeckt den Tod.

    … Denn alle Sünden sind gewagt.

  • Die Tugenden sind einstudiert.

    Und alle Flüche sind gesagt

    und alle Seegen revidiert…

Lucheni: (auf Franz Joseph deutend)

    Franz Joseph!… Kaiser von Österreich!

Franz Joseph:

    Was ist das hier? Ein Irrenhaus?

Tod:

    Ihr sinkendes Schiff, Majestät!

Franz Joseph:

    Wie komm’ ich hierher?

Tod:

    Fragen Sie mich nicht! Das ist doch Ihr Alptraum

Chor:

    Alles ein Alptraum, Alptraum!

Franz Joseph:

    Warum sinkt das Schiff? Wo ist die Kaiserin?

Tod:

    Elisabeth? Meine Elisabeth?

Franz Joseph:

    M e i n e Elisabeth!

Tod:

    Sie gehört mir.

Franz Joseph:

    Impertinenz!

Tod:

    Sie liebt mich!

Franz Joseph:

    Lügner! Narr! Schluß mit dem Unsinn!

Tod:

    Das ist doch Ihr Alptraum!

Franz Joseph:

    Ich gab ihr mein Leben,…

Tod:

    Armseliges Geschenk!

Franz Joseph:

    … geb’ ihr Halt und Sicherheit…

Tod:

    Ich geb’ ihr die Freiheit!

Franz Joseph:

    … und Tradition!

Chor:

    Alles ein Alptraum, Alptraum!

Eine Explosion erschüttert die Szenerie. Flammen und Rauch schlagen aus einer Luke. Die verschiedenen Gruppen agieren unbeeindruckt weiter. Krachend stürzen Trümmer auf die Bühne. Das Sinken des Schiffes tritt in die letzte Phase.

Franz Joseph:

    Ich trage die Verantwortung für sie!

Tod:

    Ich löse ihre Fesseln.

Franz Joseph:

    Ich rette sie.

Tod:

    Nein, ich rette sie…

Der Tod zieht eine Dreikant-Feile aus dem Hemd und hält das im Licht aufblitzende Instrument in die Höhe.

    … Damit!

Franz Joseph: (gleichzeitig)

    Was ist das?

Tod:

    He, Lucheni, es ist soweit!

Franz Joseph:

    Her damit! Sofort! Ich befehle es Ihnen… nein!

Lucheni streckt die Hand aus. Der Tod wirft ihm die Mordwaffe zu.

Erster Chor:

    Alle tanzten mit dem Tod…

Zweiter Chor: (gleichzeitig)

    Elisabeth, Elisabeth, Elisabeth, Elisabeth!

Erster Chor:

    … doch niemand wie Elisabeth.

Tod:

    Elisabeth!

Dritter Chor: (gleichzeitig)

    Elisabeth! Elisabeth!

Erster Chor:

    Alle tanzten mit dem Tod…

Zweiter Chor: (gleichzeitig)

    Elisabeth, Elisabeth, Elisabeth, Elisabeth!

Erster Chor:

    … doch niemand wie Elisabeth!

Franz Joseph:

    Elisabeth!

Die Szene reißt ab wie ein Film. Das Schiff versinkt im Schlund der Zeit.

Epilog

Durch absolute Dunkelheit klingt die Stimme des Richters

Stimme des Richters:

    Was wollten Sie in Genf, Lucheni?

Lucheni:

    Den Prinzen von Orléans ermorden.

  • Aber er kam nicht.

Allmählich wird es heller. Lucheni steht an der Rampe und blickt in die Richtung, aus der man sie Stimme des Richters hört.

Stimme des Richters:

    Wieso dann die Kaiserin Elisabeth?

Lucheni:

    Il giornale! Ich las, daß sie gerade in der Stadt war.

Stimme des Richters:

    Wann war das?

Lucheni:

    Am 10. September 1898. Un giorno bellissimo,

  • ein sonniger Tag.

Die Bühne ist nun wieder erleuchtet. Die Uferpromenade vor dem Genfer Hotel „Beau Rivage”. Lucheni zieht eine Zeitung aus seiner Jackentasche und liest darin.

Ein Schiffssignal ertönt. Elisabeth und die Gräfin Sztáray treten auf, beide in Reisekleidung, die Kaiserin mit einem weißen Sonnenschirm. Lucheni wirft die Zeitung fort, zückt die Feile und versteckt sich.

Elisabeth macht die Gräfin Sztáray auf die Herbstblüte der Kastanienbäume aufmerksam. Diese drängt zur Eile. Die beiden Damen gehen über den menschenleeren Kai zur Anlegestelle des Dampfschiffs.

Lucheni springt, die Deckung der Bäume benutzend, über die Straße und läuft blitzschnell auf Elisabeth zu. Sie und die Gräfin Sztáray treten zur Seite, um dem Mann auszuweichen.

Lucheni hebt die rechte Hand, bückt sich, als wollte er unter Elisabeths Sonnenschirm sehen und stößt Elisabeth die Feile in die Brust. Sie stürzt rücklings zu Boden.

Gräfin Sztáray:

    Majestät! Oh!… Hilfe! O Gott!

Lucheni läuft davon. Man hört ihn lachen. Die Gräfin hilft Elisabeth auf die Beine. Diese wehrt die Hilfe ab und gibt zu erkennen, daß ihr nichts passiert ist. Sie richtet die in Unordnung geratenen Haare und setzt dann mit der Gräfin ihren Weg zum Schiff fort. Auf einmal faßt sich Elisabeth an die Brust und sackt mit einem Seufzer zusammen. Entsetzt beugt sich die Gräfin über sie.

Gräfin Sztáray:

    Ein Arzt. Schnell! Ein Arzt! Main Gott, sie stirbt!

    Sie stirbt!!

Auf der Vorderbühne erscheinen in diesem Moment Elisabeth und der Tod. Gleichzeitig kommen sie von entgegengesetzten Seiten. Sie blicken sich an und gehen sehr langsam aufeinander zu. Die Szene im Hintergrund erstarrt.

Der Schleier Fallt

Tod:

    Der Schleier fällt, verlaß die Schatten. Ich hab mich so

  • nach dir gesehnt. Laß mich nicht warten.

Elisabeth:

    Mach die Nacht zum Morgen.

  • Laß mich befreit sein und geborgen.

    Lösch die Erinn’rung in mir aus,

    gib meiner Seele ein Zuhaus!

Tod:

    Laß die Welt versinken!

Tod & Elisabeth:

    Ich will mit dir im Nichts ertrinken,

  • mit dir als Feuer auferstehn

    und in der Ewigkeit vergeh’n…

Elisabeth und der Tod umarmen sich leidenschaftlich.

Schließlich löst sich Elisabeth vom Tod und dreht sich zum Publikum.

Elisabeth:

    Ich weinte, ich lachte,

  • war mutlos und hoffte neu.

    Doch was ich auch machte,

    mir selbst blieb ich immer treu.

Elisabeth & Tod:

    Die Welt sucht vergebens

  • den Sinn meines / deines Lebens…

Elisabeth:

    … denn ich gehör…

Tod:

    Du gehörst…

Elisabeth & Tod:

    … nur mir!

Der Tod küßt Elisabeth. An anderer Stelle der Bühne sieht man den zu lebenslanger Haft verurteilten Lucheni in seiner Zelle. Er legt sich die Schlinge um den Hals, um Selbstmord zu begehen. Sein Blick trifft sich mit dem des Todes. Die Szene erstarrt.

ENDE DES ZWEITEN AKTES

Previous Page   |   Elisabeth Index